Ian D. FowlerUhrenrestaurator u. Uhrenhistoriker |
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Fach ArtikelDie deutsche, bürgerliche Bodenstanduhr(eine Übersicht der regionalen Typen im 18. & 19. Jh.)Teil 3Auch in Solingen im bergischen Land wurden von vielen Uhrmachern Uhren gebaut. Ein eigenständiger Möbelstil entwickelte sich hier, so dass die Uhren leicht erkennbar und heute noch sehr begehrt sind. Manche Uhrmacher wie Winkel lieferten Platinenwerke aber andere besonders im Raum Solingen sogenannte Stangenwerke, die auf eine starke Verbindung zum Schmiedehandwerk hinweisen, zumal es hier unzählige spezialisierte Schmiedeberufe gab. Obwohl es bis dato keine archivalischen Belege gibt, die Theorie untermauern, wäre es denkbar, dass die eisernen Rahmen von Schmieden vorgefertigt an die Uhrmacher geliefert wurden, die sie mit Räderwerken versahen. Diese Theorie würde erklären, warum man so lange an einer altertümlichen Bauweise festhielt. Das Grundgestell mit 2 horizontalen Platten, die durch 4 Stangen an den Ecken verbunden werden, ist vernietet und somit nicht zerlegbar, im Gegensatz zu den Gestellen aus Süddeutschland, Rheinland und sogar Westfalen, wo man die Platten mit Gewinden und großen viereckigen Muttern verbunden hatte. Die flachen, vertikalen Lagerbänder für die Zahnräder werden bei bergischen Uhren mit Keilen oben befestigt wie bei den Uhren aus dem Aachen-Lütticher Raum, Friesland oder sogar England (vgl. die sog. "bird-cage" Werke). In den früheren süddeutschen und rheinischen Werken wurden die Lagerbänder mit Stiften und Laschen befestigt. Obwohl nicht ausschließlich, hatten die bergischen Stangenwerke meistens einen großen Windfang, wodurch man eine Übersetzung in der Schlagwerksräderkette ersparte. Die Trommelwalzen für die Gewichtszüge sind aus Holz. Sehr viele bergische Werke haben einen nach unten fallenden, meistens innen verzahnten Rechen mit einer Rechenklinke als dünne vertikale Feder, die durch Verschleiß und unfachmännische Reparaturen oft verdorben ist. Der Stundenschlag erfolgt auf 2 Glocken gleichzeitig. Dieser eigenartige Schlag findet man nur in einem Raum etwa 80 km um Solingen herum einschließlich im Siegerland, gelegentlich bei Neuwieder und Sauerländer Uhren. Das abgebildete Gehäuse stammt aus der Tischlerwerkstatt von Machenbach in Wald bei Solingen. Auch hier wurde sich wohl eine Arbeitsteilung bedient, denn viele solche Exemplare in unterschiedlichen Ausführungen sind heute noch erhalten. Hier wird das Werk einer rheinischen Bodenstanduhr gezeigt. Man sieht im Vergleich mit dem vorherigen bergischen Werk deutliche Unterschiede. Die Hypothese von Abeler und Krieg, dass die bergischen Werke von den rheinischen Werken abstammen (genannt wird Vogel in Köln um 1700) ist durchaus umstritten. Das Grundwerk der rheinischen Uhr hat vorne und hinten nur 2 Lagerbänder, die verstiftet sind. Außerdem wird die Schlossscheibe für das Schlagwerk bevorzugt und man kennt hier keinen großen Windfang. Obwohl Abeler und Krieg diese Uhren als bergisch bezeichnen, stammen sie aus der Grafschaft Mark direkt östlich des Bergischen Landes. Sie ähneln den bergischen Uhren schon sehr aber bilden durch deutliche Merkmale einen eigenen Typus. Die Gehäuse sind mit aufwendigen Schnitzereien in der Form von Vögeln und Blumen und Obst gekrönt, die ursprünglich polychrom gefasst wurden (hier ein unberührtes Beispiel von Voss in Lennep bei Remscheid). Platinenwerke wurden bevorzugt. Die Uhrmacherfamilie Peddinghaus in Volmarstein, Schölling und Schmandbruch übten wohl einen starken EInfluss aus, ebenso die Familien Wellershaus in Radevormwald (sogar mit Stangenwerken bis Ende des 19.Jh.), Schmirnbach in Breckerfeld und Krugmann in Meinerzhagen. Im oberbergischen Bereich lieferten im 19. Jahrhundert u.a. die Familie Färber in Seelscheid und Friedrich Bion in Wiehl viele Uhren in Gehäusen aus Kirschbaumholz. Die Werke hatten meistens Platinen aus Eisen. Nördlich des Bergischen Landes in Westfalen (einschließlich Münsterland, Soester Börde, Paderborner Land, sogar Niederrhein) gab es einen Bedarf an Bodenstanduhren bei dem ländlichen Bürgertum, trotzdem entwickelte sich hier kein einheitlicher Typus. Uhren mit 30 Stundengangdauer kamen öfters vor (dagegen im Bergischen Land gab es fast ausschließlich 8-Tage-Gänger), mal mit Platinen- mal mit Stangenwerken. Selten sind die Uhren signiert. Wie im Bergischen, im Sauerland oder Siegerland hatten die früheren Uhren (bis 1780) Ziffernringe aus Zinn (die Zahlen waren mal graviert und mal aufgemalt) und später wurden Keramikzifferblätter verwendet. Im Sauerland dagegen entwickelte sich ein deutlicher Bodenstanduhrtypus und die Uhren wurden fast immer signiert. Der Bedarf wurde fast ausschließlich von 5 Familien in relativ entlegenen Orten zwischen ca. 1770 und 1860 gedeckt: - Vogt in Fredeburg (später Lippstadt), Schmidt in Bödefeld, Winter in Calle, Schröder in Ödingen (die produktivste), und Gerlach in Beringhausen. Die Uhrmacher stammten eindeutig aus dem Schmiedehandwerk aber haben ihre Vorbilder bei den bergischen Uhren gesucht. Ob sie dort gelernt oder die Werke kopiert haben, ist nicht bekannt. Es ist zu vermuten, dass es in den ländlichen Gegenden keine zünftigen Regelungen für das Uhrmacherhandwerk gab. Ein Schmied/Schlosser o.ä., der also in der Lage war, eine brauchbare Uhr für einen berechtigten Preis zu bauen, konnte der Nachfrage unbehelligt nachkommen. Wie im Bergischen waren alle Bodenstanduhren 8-Tage-Gänger und hatten Keramikzifferblätter aber komplizierte Beispiele waren nicht gefragt. Trotzdem erkennt man den Unterschied; die Sauerländer Uhren waren schmaler und schlichter. Im Sauerland findet man Möbel mit integrierten Standuhren. Die Keramikzifferblätter wurden über Zwischenhändler bezogen und in den Fayence- und Steingutmanufakturen um Frankfurt hergestellt: - Hanau, Flörsheim, Offenbach, Kelsterbach und später im Saarland in Mettlach und Wallerfangen. Hier wird ein Blatt mit Fehlern gezeigt, das trotzdem verkauft und verwendet wurde. Interessanterweise tauchen diese fehlerhaften Blätter im Sauerland am häufigsten auf, wo sie den Einwohnern wohl nicht auffielen. Es heißt, dass ein Emaillezifferblatt aus der Schweiz (wie von Winkel oder Kinzing verwendet) das zehnfache von einem Steingutzifferblatt kostete. Die Familie Gerlach stellten zwischen 1810 und 1860 über 2 Generationen etwa 400 Bodenstanduhren her. Die Buchführung des Uhrmachers Berhard Gerlach existiert noch. Mindestens 20% der gelieferten Uhren sind noch erhalten. Eine Bodenstanduhr kostete ungefähr 20 Taler. Die gezeigte Uhr ist eine der letzten. Das Steingutblatt wurde in Wallerfangen im Saarland im Umdruckverfahren hergestellt und trägt hinten die Marke "Vaudrevange" (französisch für Wallerfangen); die Firma gehörte damals zu Villeroy & Boch. Naturalien und alte Uhren wurden in Zahlung genommen und Gerlach gab über einigen Jahren Kredit. Außerdem handelte er mit Schwarzwalduhren, was die eigenständige Herstellung von Uhren in Einzelarbeit, auch woanders, letztendlich beendete. Im Alter wurde Bernard Gerlach im wahrsten Sinne des Wortes vom Fortschritt überrollt, weil er schwerhörig beim Pflücken von Kräutern auf dem Bahndamm von einer Lokomotive überfahren wurde. Vorbild für das typische Berliner Bodenstanduhrwerk muss das weit verbreitete englische Bodenstanduhrwerk gewesen sein. Es ist zu vermuten, dass in einem Zentrum wie Berlin eine Arbeitsteilung existierte, so dass es wohl auch mindestens Rohteile bzw. Rohwerke zu beziehen gab, denn diese Art Werke tauchen mit unterschiedlichen Signaturen auf dem Zifferblatt z.B. auch von berühmten Uhrmachern wie Kleemeyer, Ravené oder Névir auf. Typisch sind Emaillezifferblätter, meistens mit arabischen Ziffern, die von der Firma Louis Buzat ursprünglich in Friedrichsthal bei Oranienburg stammten, sowie die vereinfachten Ballusterpfeiler. Das gehobene Berliner Bürgertum bevorzugte elegante schlichte Gehäuse mit Edelholzfurnieren. In ländlichen Gegenden verwendete man in der Biedermeierzeit gern massives Kirschbaumholz. Der erste Siegerländer Uhrmacher Johann Georg Spies baute Uhren ab 1770 im Stil der Neuwieder Uhren, denn ein Mitarbeiter von Kinzings, Hermann Achenbach, ein gebürtiger Siegener, war mit der Familie Spies verwandt. Der berühmte Lehrling von Spies war Johann Peter Stahlschmidt aus Freudenberg, dessen Lebenslauf durch alte Papiere gut dokumentiert ist. Er ging auf Wanderschaft, präsentierte ein Meisterstück, und baute 94 Uhren zwischen 1782 und 1830. Sein Sohn und Nachfolger baute diese obig abgebildete Uhr 1837. Sie hat ein Messingwerk und ein Steingutzifferblatt aus Wallerfangen mit Tierkreiszeichen, obwohl der Vater bis 1815 gern auch Neuenburger Emaillezifferblätter mit passenden Zeigern verwendete. Heute sind noch 60 Uhren von der Familie Stahlschmidt meistens noch im Siegerländer Privatbesitz bekannt. In ländlichen Orten an der unteren Sieg angrenzend zum Bergischen Land bauten einige produktive Uhrmacher bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts Bodenstanduhren. Hier ein besonderes Beispiel von 1837 in einem sehr flachen Gehäuse von Weyand aus Werfen. Indem er sehr große Walzenräder mit hohem Zahnzahlen und Walzen von großem Durchmesser mit flachen diskusförmigen Gewichten verwendete, konnte er sehr flache Uhrwerke bauen. Der Uhrmacher Dietrich Koch aus Stromberg baute sehr viele einfache Uhren bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1900. Nach den Napoleonischen Kriegen stagnierte die Nachfrage für Hausuhren, aber einfachere Uhren wurden noch im Bergischen Land, Sauerland, Siegerland und Westfalen bis Mitte des 19. Jh. hergestellt, allerdings nicht mehr in Neuwied, im Odenwald oder in der Pfalz. Billige Schwarzwalduhrwerke mit Holzplatinen wurden zunehmend importiert und Gehäuse im regional passenden Stil wurden dazugebaut. Anhang. Gab es ein Kölner Bodenstanduhrtypus? Kaum! Man kennt zwar einige Kölner Bodenstanduhren aber sie bilden untereinander keinen durchgehend erkennbaren Typus. Am Ende des 17. Jh. gab es die bekannten Rahmenwanduhren (keine Bodenstanduhren), die damals schon sowohl formell als technisch archaisch waren. Die Werke dieser Uhren wurden z.T. für linksrheinische Bodenstanduhren (z.B. Poletnich / Bonn, Schmitz / Köln) übernommen. Rahmenwanduhren sind in anderen Gegenden früher noch bekannt, und u.a. im Bergischen Land auch später. (Es sei vermerkt, dass die Hypothese von Abeler und Krieg, dass das bergische "Stangenwerk" aus dem Kölner Rahmenuhrwerk entstand, unter Kennern sehr umstritten ist. Die Konstruktionen unterscheiden sich.) Die Situation in Köln ist aber beispielhaft für die alten deutschen Reichsstädten mit ihren altertümlichen Zunftsystemen, die restriktiv wirkten (die Meister versuchten die Stellen für sich und ihre eigenen Söhne zu behalten und Fremde auszuschließen). In neueren, aufstrebenden Städten und Regionen (z.B. dem Bergischen Land oder Neuwied) oder in ländlichen Gegenden (Sauerland, Siegerland, Odenwald), wo das Zunftsystem für Uhrmacher keine Restriktionen auferlegte, konnte sich das Uhrmachergewerbe freier entwickeln. Bekanntlich sind Kölner Bodenstanduhren mit sogenannten Stangenwerken in der rheinischen Bauweise erhalten, aber Uhren mit Platinenwerken sowohl aus Eisen wie auch aus Messing sind bekannt. Einige, späte Uhren können stilistisch sogar als bergisch eingeordnet werden. Literaturauswahl: Jürgen Abeler, Altbergische Uhren, 1968 Helmut Krieg, Aus der Uhrzeit, 1987. Bergische Uhren, 1990. Uhrmacher im bergischen Land, 1994 Jan Carstensen, Ullrich Reinke, Die Zeit vor Augen, Standuhren in Westfalen, 1998 Dietrich Fabian, Kinzing und Roentgen, Uhren aus Neuwied, 1983 Eugen Denkel, Ian Fowler, Uhren und Uhrmacher vom Mittelrhein, 1992 Kinzing & Co, Uhren aus der Provinz, Ausstellungskatalog Neuwied, 2003 Günther Vosgerau, Rund um die Uhr, die Kunst des Uhrmachers in Stadt und Land zwischen Weser und Ems, 1996 Igor Jentzen, Uhrzeiten, Frankfurt, 1989 Peter Eidmann, Alte Odenwälder Uhren und ihre Meister, in Beiträge zur Erforschung des Odenwalds, 1980 Ihno Fleßner, Zeitzeugen, Uhren & Uhrmacher aus dem Weser-Elbe Gebiet seit dem 18. Jh., 2006 Lüneburger Uhren, in Lüneburger Schriften, Georg Melbeck, 1966 E. Brohl, Gerlach-Uhren und Uhren-Gerlach, Marsberg, 1987 Gemessene Zeit, Ausstellungskatalog Schloss Gottorf, 1975, Christl Leven-Lehnert, Uhren in Trier, Trier 1992 Ann Chevalier, André Thiry, L'Age d'or de l'horlogerie Liègoise, Liège, 2003 Jean-Luc Mousset, L'Age d'Or du meuble Luxembourgois, Luxembourg 1995. Teil 1 / Teil 2 zurück zur Artikelübersicht... |
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Fowler / Archiv-Fowler Ian D. Fowler Am Krängel 21, 51598 Friesenhagen Germany Tel. +49 (0) 2734 7559 Mobil 0171 9577910 e-mail Ian.Fowler@Historische-Zeitmesser.de Letzte Aktualisierung 21.01.2014
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