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Ian D. Fowler

Uhrenrestaurator u. Uhrenhistoriker

Fach Artikel


Die deutsche, bürgerliche Bodenstanduhr
(eine Übersicht der regionalen Typen im 18. & 19. Jh.)
Teil 1


Schon vor 1700 hatte sich die Bodenstanduhr in England als Typus längst etabliert, und bis 1800 war sie dort in allen Haushalten außer den ärmsten als Gebrauchsgegenstand präsent. Wie war die Situation in den Nachbarländern?
In Nordeuropa wurde die Bodenstanduhr ebenfalls populär im 18. Jh., zuerst beim Adel und bald danach beim Bürgertum. Im Laufe des 18. Jh. entwickelten sich regionale Typen von Bodenstanduhren (als Hausuhren) eher in den nördlichen und westlichen Provinzen. In Süddeutschland und Österreich war aber die Tischuhr oder Wanduhr mit Federantrieb (Telleruhr) oder Wanduhr mit Gewichtsantrieb populärer, obwohl aufwändige Bodenstanduhren oft mit Komplikationen als besondere Auftragsarbeiten für Schlösser usw. überall gebaut wurden. Regional typische Bodenstanduhren kommen hier eigentlich nicht vor.
Bis jetzt gibt es keine Dokumentation, die alle regionale Typen zusammenfassend vergleicht. Der Uhrenforscher muss auf Ausstellungskataloge provinzieller Museen, Schriften von Heimat- und Geschichtsvereinen, oder allgemeine Uhrenliteratur zurückgreifen.


Bedingt durch das politische System des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gab es keine wirksame zentrale Hauptstadt wie in Frankreich oder England. (Der Kaiser residierte in Wien aber hatte keine Bedeutung für den Bürger z.B. in Hamburg oder Berlin.) Es gab also kein besonderes Zentrum wie London oder Paris, das allgemeine Maßstäbe für Kunst und Kultur setzte, und von der Uhrmacherei ganz zu schweigen. (Der Adel schaute noch nach Paris zu Zeiten vom Sonnenkönig.)

Vielleicht deshalb sind die unterschiedlichen regionalen Entwicklungen in den deutschen Ländern viel spannender als in England oder Frankreich. Außerdem wurde durch die vielen Grenzen der freie Handel eingeschränkt; Messing und tropische Hölzer waren z.B. entsprechend teurer.



Erhalten ist eine undatierte Bodenstanduhr vom berühmten Augsburger Uhrmacher Jacob Mayr, der als Hersteller vieler Horizontaltischuhren und Altaruhren im älteren deutschen Stil bekannt ist. Diese um 1710 bis 1715 zu datierende Uhr nach einer englischen Vorlage aber mit deutschen Merkmalen dokumentiert doch seine Bereitschaft auch einen moderneren Stil auszuprobieren. (Oder war sie der Auftrag eines weitgereisten Kunden?). Die Proportionen und Dimensionen dieser Uhr entsprechen denen einer zeitgenössichen englischen Bodenstanduhr, aber bei näherer Betrachtung sieht man in den Einzelheiten des Gehäuses (die Marketerien und die vorspringenden Ecken der oberen Profilleisten und die Sockelform) und des Zifferblattes (die getriebenen statt gegossenen Spandrels ) bedeutende Abweichungen.



Obwohl kein originales Gehäuse zu diesem Werk erhalten ist, ist offensichtlich, dass eine englische Bodenstanduhr als Vorlage zu dieser Uhr diente. Frankfurt wie Augsburg waren bedeutende Reichsstädte, ihre Handelskontakte dürften sie mit englischen Uhren vertraut gemacht haben. Auch wenn die Werke der Frankfurter- und Augsburger Uhr über kein Schlagwerk verfügen, ähneln die Messingplatinenwerke mit ballusterförmigen Pfeilern ihren englischen Vorbildern stark.



Man erkennt aber sofort beim ersten Blick den englischen Einfluss in einer Bodenstanduhr mit der Signatur Johan Albiger in Münster, die vor 1715 zu datieren ist. Allerdings beim zweiten Blick sieht man, dass es sich nicht um ein englisches Gehäuse oder Zifferblatt handeln kann. (Vielleicht wurde allerdings das Rohwerk von London bezogen.) Albiger hatte bis 1715 drei fast identische Uhren gebaut, von denen 2 heute noch im ursprünglichen Adelsbesitz sind.



Eine große, ebonsierte, unsignierte Bodenstanduhr vielleicht aus dem Rheinland bei Köln mit dem Datum 1713 weist auch englische Merkmale zwar auf: die Aufteilung des Gehäuses, die gedrehten Säulen am Oberteil, das "Fretwork" im oberen Teil des Kopfes, die Eckappliken und das überlange Pendel. Jedoch handelt es sich eindeutig nicht um eine englische Arbeit: die Applikationen sind aus Zinn oder Blei, der Ziffernring ist gemalt und nicht graviert, die Abstandhalter sind aus Vierkanteisen, das Schlagwerk hat Storchenschnabelauslösung usw. (alles deutsche Merkmale).



Das Zifferblatt und die gedrehten (schraubenförmigen) Säulen an dieser Uhr erinnern an die vorherigen Uhren und ihren englischen Vorbildern sogar vor 1700, obwohl diese Uhr mit 1745 datiert ist. Es handelt sich um eine der ältesten bekannten bergischen Bodenstanduhren. Die Uhr hat ein sog. Stangenwerk, statt Platinenwerk und die Glocken befinden sich oberhalb des Gehäuses (Kopf) wie man es von den typischen bergischen Rahmenwanduhren und den üblichen späteren bergischen Uhren kennt.





Ebenfalls fertigten Uhrmacher wie Detlef Sieverts in Flensburg oder Jacob Schröder in Kiel eine Reihe bedeutender Bodenstanduhren, die eindeutig von einer englischen (Londoner) Vorlage geprägt wurden. Gezeigt wird ein Beispiel mit Datierung am Werk 1726. Das Gehäuse ist bei nähere Betrachtung sicherlich nicht englisch. Kiel und Schleswig Holstein war teils deutsch, teils dänisch. Diese zwei norddeutsch Uhren sind gute Beispiele wie präsent der englische Einfluß durch Seefahrt und Handelskontakte war.

Die Uhren aus Angeln in Schleswig-Holstein basieren sicherlich auf einer englischen Vorlage wie auch die dänichen (s.o.), und die Einflüsse beim Gehäuse und Werk blieben bis ins 19. Jh noch evident, obwohl es Sonderformen auch gab. Familien (z.B. Tüxen) haben das Uhrmacherhandwerk über mehreren Generationen betrieben.



Diese unsignierte und undatierte Uhr weist die Dimensionen und Proportionen einer englischen Bodenstanduhr um 1710-30 auf, aber stammt sicherlich aus West- oder Norddeutschland. Vergleichbar mit der Albiger Uhr hat dieses Exemplar ein Ziffernring aus Zinn und Applikationen aus gegossenem Zinn/Blei nach einer englischen Vorlage.


Obwohl das Werk die vergleichbaren Funktionen eines englischen Beispiels hat (in diesem Fall als Monatsläufer mit Rechenschlagwerk, rückführender Ankerhemmung mit Sekundenpendel und Sekund- / Datumsanzeige) unterscheidet es sich schon in der Ausführung (konstruktiv / qualitativ). Die Anordnung der Kadratur, die sehr massive Ausführung der Walzen- und Beisatzräder, die Messingpfeiler mit Eisenkern sind deutliche Abweichungen von englischen Vorbildern. Es handelt sich nicht um eine Kopie eines englischen Werkes, wie z.B. der Uhr von Schröder in Kiel.




Ein Liverpooler Uhrmacher Peter Green (*1706 +1795) zog 1744 nach Apenrade und beeinflusste sicherlich die dortigen Uhrmacher. Sein Sohn Jonathan Green (*1740 +1812) arbeitete ebenfalls als Uhrmacher in Apenrade.
Auffallend bei den Uhren von Green und anderen späteren Uhrmachern aus dem Schleswiger Raum sind die großen teils schrägstehenden arabischen Minuten- und Mondalterzahlen.

Teil 2

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Letzte Aktualisierung 10.05.2009