Die sogn. Pompadour Uhr im Neuen Palais Potsdam (SPSG)
Zur Geschichte der Uhr.
Laut dem Potsdamer Verleger Carl Christian Horvath (1752-1837) stammt
auch diese Uhr aus einer Nachlassversteigerung der Madame de Pompadour
(+1764). Bekannt ist, dass Friedrich II über Kunstagenten in
Paris
Kunstwerke (u.a. Uhren) für seine neu gebauten
Schlösser
kaufen ließ. Eindeutige Quellen, die nachweisen, dass die Uhr
tatsächlich aus dem Besitz von Madame de Pompadour stammt,
gibt es
nicht. Jedoch lässt die imposante Erscheinung der Uhr auf eine
Entstehung in unmittelbarer Umgebung des französischen
Königs
schließen. Sie wird erstmalig in einem Inventar des Neuen
Palais
1784 erwähnt. 1790 wurde sie von Friedrich Wilhelm II ins
neuen
Marmorpalais gebracht und dafür wurde ein neuer Tisch im Louis
XVI
Stil gebaut. 1878 kam sie ins Neue Palais zurück, als der
Kronprinz Friedrich Wilhelm (später Kaiser Friedrich III) dort
residierte. 1921 kam sie wieder ins Marmorpalais. 1945 transportierte
man sie als Kriegbeute in die Sowjetunion aber sie kehrte wieder 1958
in einem desolaten Zustand zurück.
Bild 1: Gesamtansicht der Uhr nach der Restaurierung.
Allein die Bezeichnung „Pendule“
für diese Uhr
ist m.E. fast befremdlich. Für eine Pendule auf einem
typischen
Postament wäre das Gehäuse hier zu groß
[1,2].
Das
Gehäuse wird dem Ébenist Jean-Pierre Latz (um
1696-1754)
zugeschrieben, obwohl es keinen Stempel oder Signatur trägt.
Vergleichbare Uhrenj nicht bekannt. Die Uhr stellt eine
Hybride dar. Das Gehäuse nimmt die Form
einer
überdimensionierten Régence Pendule ein, aber das
Werk
ähnelt durch seine Komplexität
zeitgenössischen
französischen Bodenstanduhren. (Die üblichen
französischen Pendulenwerke in der 1. Hälfte des 18.
Jh.
waren einfacher gebaut: umlaufende Federhäuser, Spindelhemmung
mit
Kurzpendel, Halbstundenschlag, Beispiele mit Viertelstundenschlag oder
Kalenderanzeigen sind sehr selten. Bei der Bauweise von Pendulenwerken
hat ein technischer Fortschritt seit dem letzten Viertel des 17. Jh. in
Frankreich kaum stattgefunden.) Die Sonderform des Zifferblatts
bezeugt, dass dieses Werk für das Gehäuse
ausschließlich gemacht wurde – oder sogar
umgekehrt. Eine
Würdigung des ganzen Objekts ausschließlich auf eine
Betrachtung des Gehäuses als Möbelstück zu
beschränken würde die Bedeutung der Uhr vollkommen
verkennen.
Die technischen Raffinessen, die das Werk enthält, zeichnen
diese
Uhr als Besonderheit aus. Für so ein repräsentatives
Objekt
gehören sie dazu. Zu der äußeren Form
gehört der
entsprechende "Inhalt" mit den Funktionen, die für die
damaligen
Zeit gefragt/ modisch waren. (Ob der Besitzer sich wirklich
dafür
interessierte und die Funktionen verstand, oder nur der Eindruck
entstehen sollte, ist eine offene Frage.)
Durch die Untersuchung des Werks können die Entstehung der Uhr
und die
späteren Veränderungen genau datiert werden.
Der Erbauer des Uhrwerks war Alexander Lefaucheur (Meister 1729, ab
1745 Valet de Chambre-Horloger Ordinaire du Roi)
[3].
Seine
Signatur
ebenso wie die von Stollewerck ist auf der Rückplatine
eingraviert. Die
Signatur von Lefaucheur auf der Zifferblattplatte ist mit
einem
Signaturschild von Stollewerck im jetzigen Zustand verdeckt. Von
Lefaucheur sind andere komplizierte Bodenstanduhren bekannt. Die
Aufzugsfeder des Schlagwerks ist signiert
William
Blakey 1737 (W. Blakey I * 1688, + 1748, W. Blakey II * vor
1710, +
nach 1788.) (Eingeritzte
Markierungen auf Federn war in Frankreich und später der
Schweiz
üblich. Es ist anzunehmen, dass das Werk um oder
kurz nach 1737
fertiggestellt wurde.
Die Verwendung eines großen Zahnrads unter dem Zifferblatt,
das
sich einmal im Jahr dreht, ermöglicht gleichzeitig mehrere
Anzeigen: Datum, Stand der Sonne im Tierkreis (für Astronomen
die
wichtigere Orientierung bei Sternenbeobachtungen), Sonnenauf- und
Untergang. Diese Anzeigen wurden in Kreisen entsprechend auf dem Rad
angeordnet und eingraviert. Fenster in der Zifferblattplatte geben den
Blick auf die jeweils passende Anzeige frei. 12 Stifte auf der
Rückseite des Jahresrads steuern einen Hebel (durch
eine Feder vorgespannt), der
über Gliederketten einen zweiten zurückspringenden
Datumszeiger antreibt. Auf der Achse des Jahresrads an der
Rückplatine ist auch eine nierenförmige
Äquationsscheibe, auf der die Differenzen zwischen der
mittleren
und wahren Zeit programmiert sind. Diese Scheibe und somit die
Differenzen werden von einem Hebel abgetastet und die entstehende
Bewegung wird zu einer Art Differentialgetriebe an dem Zeigerwerk auf
der Vorderplatine auch über Ketten und Rollen
übertragen.
Während des 18. Jh. beschäftigten sich die
französischen
Uhrmacher sehr stark mit Äquationsuhren, obwohl englische
Uhrmacher wie Tompion, Quare und Williamson schon etwas früher
solche Uhren gebaut hatten aber wenig darüber schrieben.
Es galt eine Anzeige mit 2 koaxialen mitlaufenden Minutenzeigern zu
perfektionieren. Der Erfinder in Frankreich dieser Art
Äquationsanzeige mit Differentialgetriebe soll Henri Enderlin
aus
Basel gewesen sein. Thiout
[4] beschreibt
und lobt Enderlins
Ausführung 1741 und erwähnt, dass er mit mehreren
Ausführungen experimentiert hatte.
Bild 2: Kupferstich aus Thiout Traité d'horlogerie 1741,
Ansicht eines ähnlichen Äquationswerkes.
Das von Thiout
abgebildete System unterscheidet sich von dem hiesigen System, indem
Lefaucheur Ketten und Rollen statt einem verzahnten Rechen und ein
Planetenrad um die Mittelachse statt um die Wechselradachse verwendete
wie bei Thiout abgebildet. Die Ausführung von Lefaucheur
benötigt mehr Räder aber die resultierenden
Bewegungen der
beiden Minutenzeiger bleiben gleich. Das Schlagwerk mit Schlossscheibe
für die Viertelstunden treibt über einen
Schneckentrieb auf
der verlängerten Beisatzradachse auch das Jahresrad an. Das
Schlossscheibenschlagwerk war letztendlich ein veraltetes System
für die Zeit um 1737. (Der zuverlässigere
Rechenschlag wurde
schon 1680 in England
erfunden aber in Frankreich mit einigen Ausnahmen viel
später übernommen). Mit Ausnahmen der
jetzigen
Ergänzungen
der fehlenden Teile sind die Schlag- und Kalenderwerke m. E. von
Lefaucheur
original und unverändert geblieben.
Die Feder des Gehwerks ist mit Buzot
[5]
signiert und
1757
datiert, genau wie das von Stollewerck signierte Musikwerk. Es ist
anzunehmen, dass Michael Stollewerck
[6] 1757
ein
Glockenspielwerk in das Gehäuse einsetzte und das von
Lefaucheur
gebaute Werk etwas modifizierte. Stollewerck baute einen
Federantrieb mit Schnecke ein. Dafür hat er ein neues
Federhaus
oben rechts zwischen den Platinen eingesetzt, das auf der Vorderplatine
mit einer dreieckigen Brücke gehalten wird. Um Platz
für die
Brücke zu schaffen, sägte er einen Zifferblattpfeiler
ab und
versetzte einen neuen ca. 5 cm nach links. Es stellt sich die Frage,
wie
der Antrieb vorher aussah. Anscheinend gab es nicht ein umlaufendes
Federhaus wie für das Schlagwerk, denn
überflüssige
Lagerlöcher für das benötigte Beisatzrad
oder
zugenietete Löcher sind nicht vorhanden. D.h. entweder ein
Federantrieb mit Schnecke war schon vorhanden (allerdings ohne
Brücke), oder das Gehwerk wurde mit einem Gewicht angetrieben.
Mehrere heute überflüssige Löcher rechts
oben in
dem
Holzgehäuse könnten eventuell auf eine
Gewichtsumlenkung
hindeuten. Durch den Einbau eines Glockenspielwerks durch
Stollewerck 1757 (s.u.) fehlte es vermutlich an Fallhöhe
für
ein Gewicht. Deshalb baute er den Federantrieb mit Schnecke und Kette
ein. Französische Bodenstanduhren mit Gewichtsantrieb
für
Gehwerk und Federantrieb für Schlagwerk sind
außerdem
bekannt (z.B. Lépine Regulator in Schloss
Wilhelmshöhe
Kassel).
Zur selben Zeit ist die Hemmung auch verändert worden.
Zusätzliche Löcher in der Rückplatine und
der
Ankerbrücke weisen darauf hin, dass die Brücke nach
oben
versetzt worden ist. Es kann sein, dass Stollewerck eine neue Hemmung
eingebaut oder mindestens den Anker ersetzt hat. Die jetzige Hemmung
ist eine ruhende Ankerhemmung nach Graham.
Technische Details zum Werk:
Messingplatinen (c. 25 x20 cm.) mit Federantrieb: Schnecke
und Darmsaite für Gehwerk; 1 umlaufendes Federhaus
für
Viertelstundenschlagwerk mit 1 Schlossscheibe, Schlag auf 2 an den
oberen Platinenkanten befestigten Glocken (ergänzt); ruhende
Ankerhemmung nach Graham, Messinganker mit angeschraubten
Stahlpaletten, Sekundenpendel (fehlte) mit Federaufhängung,
geteilter Pendelstab aus Stahl (unteren Teil mit Linse
ergänzt);
Jahreskalenderwerk mit Antrieb durch das Schlagwerk,
zurückspringendes Datum, Mondphasenantrieb über
Stundenrad,
Äquation mit Differentialgetriebe durch Nierenscheibe auf
Jahresradachse gesteuert; Gangdauer 8 Tage.
Zifferblatt und Anzeigen:
Grundplatte aus feuervergoldetem Messing,
großer Ziffernring mit römischen Stunden- und
arabischen
5-Minuten Zahlen, Stunden und Minuten der wahren Zeit mit vergoldeten
Messingzeiger (Minutenzeiger ergänzt), Minuten der mittleren
Zeit
mit gebläutem Stahlzeiger (ergänzt), Sekunden in
Nebenzifferblatt mit gebläutem Stahlzeiger oberhalb der
mittigen
Zeigerachse; in den Fenstern unterhalb der Zeigerachse das Datum mit
Monat, Sonnenauf- und Untergang, unterhalb des Ziffernrings die
Position der Sonnen im Tierkreis, links daneben der
zurückspringende Datumszeiger aus gebläutem Stahl,
rechts
daneben die Mondphase und das Mondalter.
Das Spielwerk (Carillon)
Vergleichbar mit
den ausführlichen Anzeigen des Zifferblatts
musste die Uhr akustisch etwas darstellen. Mitte der vierziger Jahre
hatte sich Stollewerck, Spezialist für Carillons, in Paris
etabliert. Die Uhr musste dann aufgerüstet werden.
Die Antriebsfeder ist mit
Buzot 1757 signiert. Der
Rahmen
ist gut sichtbar
Stollewerck Paris graviert.
Stollewerck hat solche
Werke hergestellt für eigene Uhren sowie für andere
Kollegen
in Paris. Die Konstruktion des Antriebs mit Schnecke und Darmsaite ist
sehr ähnlich wie beim Gehwerk der Uhr. In Diderot
[7]
1765 wird
diese
Art Glockenspiel mit einem vergleichbaren automatischen
Liedwechselmechanismus illustriert und Le Sieur Stolverk (sic)
zugeschrieben. (Diese Illustration war bei der Rekonstruktion des
Windfangs hilfreich.) (Ähnliche Spielwerke sind in Uhren der
Wallace Collection
[8].)
Bild 3: Das Glockenspielwerk.
Mit der freundlichen und großzügigen Hilfe von Dr.
Haspels
vom Nationalmuseum für automatischen Musikinstrumenten in
Utrecht
(Nationaal Museum van speelklok tot pierement) konnte die
Anordnung
der Glocken und Hämmer wieder bestimmt werden, so
dass
das Werk erkennbare Melodien wieder abspielt. Das Spielwerk hat 25
Hämmer, 14 Glocken, und spielt 13 Lieder. Nach
der
Zuordnung von Dr. Haspels sind die Glocken H Cis D E Fis G A H C Cis D
E Fis G. Die 2 Spielwerke in der Wallace Collection haben beide
ebenfalls 14 Glocken. Die fehlenden Glocken wurden von Herrn Hodzelmans
in NL St. Michielsgestel gegossen und geliefert. Nach der
Restaurierung spielte das Werk wieder einigermaßen
melodiöse Stücke, die mit einer Ausnahme bis dato
unidentifiziert geblieben sind. Eindeutig erkennbar ist die Musik, die
man heute als „alle meine Entchen schwimmen auf dem
See“
kennt. Allerdings wurden die Worte dazu im 19. Jh. gedichtet. Die Musik
kannte auch Mozart, der Variationen zum diesem Thema
komponiert
hatte.
Bild 4: Kupferstich eines Glockenspielwerks aus Diderots
Enzyclopädie
[1] Vgl. Augarde, les Ouvriers du Temps, S. 312, Uhr von
Enderlin, Gehäuse Latz ? 1731, Vorlage( ?)
sehr
große Pendule auf Postament ; das Werk ist
für eine
Pendule überdimensional mit vielen Anzeigen (Sekundenpendel).
[2] Wilson, Ronfort, Augarde, Cohen, Fries, European Clocks, Los
Angeles 1996, S. 28 ff. Nr. V.
[3] Augarde, S. 343.
[4] Antoine Thiout, Traité de l’horlogerie, 1741,
S. 252, Planche 25.
[5] Zu Buzot s. Tardy, Dictionnaire des Horlogers francais, S.
103 : vermutlich Charles père.
[6] Augarde, S. 398.
[7] Diderot et d’Alembert, Encyclodedie du XVIIIe
siècle, 1765 ( ?), Planche XXVIII, cotée
DDD.
[8] Peter Hughes, The Wallace Collection, Catalogue of Furniture,
London 1996, S.429-437 / Peter Hughes, Clocks and Barometers
in
the Wallace Collection, London 1994, S. 48-51.
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